Mittwoch, 18.12.2024 Die vergessene Hälfte
Obwohl Frauen in der Modellfliegerei schon immer eine wichtige Rolle gespielt haben, sind sie am Steuerknüppel und am Baubrett immer noch deutlich unterrepräsentiert. Thomas Stier erzählt, wie sein Verein weibliche Mitglieder gewinnt - und wie sie den männlichen Mitgliedern in nichts nachstehen.
Über Frauen und Mädchen im Modellflug
Natürlich höre ich immer wieder, Frauen und Mädchen hätten kein Interesse oder kein Talent für den Modellbau und die Modellfliegerei. In der personentragenden Fliegerei gab es diesen Mythos auch einmal, inzwischen sind Frauen im Cockpit aber völlig normal. Ich erinnere mich noch gut an die blöden Witze in der Kabine, als auf einem Lufthansa Linienflug Ende der 90er Jahre eine Frau als Kapitän an Bord war. Das ist längst Vergangenheit. Aber die Realität der Verkehrsflieger ist auf den Modellflugplätzen noch lange nicht angekommen.
Wir können und sollten es uns nicht leisten, die Hälfte der Bevölkerung nicht einzubeziehen. Das wäre ein riesiger Verlust in Zeiten sterbender Vereine, schwindender Mitgliederzahlen und einer Überalterung der Mitgliederstrukturen. Auch Hersteller und Händler sollten sich fragen, ob sie auf diesen Markt verzichten wollen.

Unsere weiblichen Mitglieder: Quer durch alle Alters- und Berufsgruppen
Wenn das so einfach wäre!
Um es vorwegzunehmen: Nein, es ist nicht einfach. Und es geht auch nicht von heute auf morgen. Es braucht zunächst die Erkenntnis im Verein, dass man sich auch weiblichen Mitgliedern öffnen und um diese werben möchte. Bei uns im Verein lag der Schlüssel in der Jugendarbeit. Zu Beginn waren in unserer Jugendgruppe nur Jungs. Um das zu ändern, haben wir in einem Kooperationsprojekt mit einer Gemeinschaftsschule die „Girls-Fly“ AG ins Leben gerufen. Außerdem haben die Jungs unserer Jugendgruppe im Freundes- und Bekanntenkreis erzählt, was für ein cooles Hobby sie haben. An unserem Flugplatz kommen auch keine spazieren gehenden Familien vorbei, die wir nicht einladen, zuzuschauen. Und aus Zuschauen wird dann manchmal Wiederkommen, einen ersten Lehrer/Schüler-Flug wagen…

Man muss die Mädchen da abholen, wo sie sind: in der Schule. Und dann muss man sie auf den Flugplatz bringen
Wenn der Anfang mal gemacht ist…
Unsere ersten beiden Mädchen im Verein waren Amy und Lusie. Die Geschwister hatten mit einem Flieger von Amazon so viel Spaß auf der Wiese vor ihrem Haus, dass sie 2018 einfach mal bei uns auf dem Flugplatzt vorbeigekommen sind. Und als sie mal da waren, haben wir sie nicht mehr losgelassen! Kurz darauf haben wir angefangen, auch allen Eltern unserer Jugendlichen Lehrer/Schüler-Flüge anzubieten. Offiziell mit der Begründung, dass die Eltern ja schließlich auch wissen sollten, was ihre Kinder so leisten. Aber natürlich war das eine Falle!
Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an den ersten Flug mit Bianca, der Mutter von Amy und Lusie. Ein warmer Sommerabend, blauer Himmel und kaum Wind. Da die Begabung wohl in der Familie liegt, steuerte Bianca den Easyglider schon beim ersten Flug in großen Kreisen durch den Himmel. Und nach ein paar Minuten kam dann: „Wow, ist das entspannend!“. Heute ist die ganze Familie bei uns Mitglied. Klar, auch Papa Thomas haben wir infiziert, aber mehr so nebenbei.
Dieses Vorgehen war ausgesprochen erfolgreich. Inzwischen fliegen bei uns sieben Frauen und sechs Mädchen. Das heißt, rund ein Viertel der Jugendlichen und etwa ein Zehntel der erwachsenen Mitglieder sind weiblich. Tendenz: steigend. Wir haben derzeit fünf Anwärter, davon zwei Frauen. Und unter den sechs jugendlichen Flugschülern, die gerade bei uns fliegen lernen, sind die Hälfte Mädchen.

Unsere ersten beiden Flugschülerinnen: Lusie und Amy 2017
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Und in der Werkstatt?
Wir bieten jeden Winter ein Bauprojekt für unseren Nachwuchs an. Die Mädchen sind daran genauso stark interessiert und beteiligt wie die Jungs. Ein Unterschied in Interesse und Talent ist zwischen Jungs und Mädchen übrigens nicht festzustellen, ganz egal ob es um Löten, Schleifen oder Kleben geht. Oder vielleicht doch: Nach einhelliger Meinung der Betreuer hören die Mädchen besser zu! Beim Design liegen sie auch vorn, wie man an Paulines Buschtrottel im Tiger-Trim schön sehen kann.

Egal ob kleben, sägen, löten oder schrauben: Mädchen können das und haben Spaß daran.
Und am Steuerknüppel?
Von der „Girls-Fly“ AG aufs Treppchen – so hat Melody das gemacht. Im Frühjahr 2023 kam sie zu uns, nachdem sie in der AG Feuer gefangen hatte. Sie hat in kürzester Zeit fliegen gelernt und bereits sechs Wochen nach ihrer Aufnahme in unseren Verein an den DMFV-Jugendmeisterschaften teilgenommen. Ihr erstes Ziel war, im Elektrosegelflug nicht Letzte zu werden, und das hat sie auch erreicht. Ein Jahr später ist sie im Kunstflug in der Juniorklasse und im F-Schlepp angetreten und hat beide Wettbewerbe gewonnen. Dabei war sie beileibe nicht die erste unserer Mädchen, die Wettbewerbe gewonnen hat.
Auch Amy hat 2022 die Juniorklasse für sich entschieden. Dieses Jahr hat sie auch die Prüfung abgelegt, die Jugendliche bei uns machen müssen, wenn sie als Lehrer fliegen möchten. Seitdem unterstützt sie uns Betreuer regelmäßig und teilt ihr Können mit den neuen Flugschülern.

Von der AG aufs Treppchen: Melody hat nach nur einem Jahr Doppel-Gold geholt
MINT
Mädchen für Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) zu begeistern ist seit langem das Ziel der Politik – das haben wir alles zu bieten! Fliegen ist angewandte Physik und macht auch noch eine Menge Spaß. Unsere Sender sind moderne Computer, die man programmieren muss. Akkus und die Vielfalt an Klebstoffen erfordern eine gewisse Beschäftigung mit Chemie und die Bearbeitung der Werkstoffe beim Bau eines Flugzeugs lässt den Technik-Unterricht in der Schule ganz schön alt aussehen. Davon konnten wir auch schon die Bundestagsabgeordnete Dr. Anna Christmann überzeugen. Bei einem Besuch auf unserem Flugplatz war die Koordinatorin der Bundesregierung für die Luft- und Raumfahrt jedenfalls sehr angetan von unseren Mädels. Eine 15-jährige Fluglehrerin hätte sie sicher auch nicht erwartet.

Frau Dr. Christmann (MdB) war sehr angetan davon, mit Amy eine junge Fluglehrerin zu haben
Von 8 bis 80 und für die ganze Familie
Dass man unser Hobby über einen außergewöhnlich langen Lebenszeitraum ausüben kann, ist bekannt. Es ist aber mindestens genauso wichtig, dass es ein Hobby für die ganze Familie sein kann. Wir bieten inzwischen eine ermäßigte Familienmitgliedschaft an (wie übrigens auch der DMFV), wir haben auch aktuell wieder zwei Familien als Anwärter. Unsere Erkenntnis ist, dass weibliche Mitglieder zu gewinnen, genauso wichtig ist wie eine funktionierende Jugendarbeit. Macht man das Hand in Hand, wird man durch ein lebendiges Vereinsleben und eine nachhaltige Mitgliederstruktur belohnt. Es gibt Vereine, die vom Aussterben bedroht sind. Unser Verein wächst seit Jahren.

Beitrag von Thomas Stier
Ausgabe: FMT01/2025