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Freitag, 17.02.2023 Drei Jahrzehnte Jugendarbeit

In einer kleinen Gemeinde im oberösterreichischem Almtal widmet sich eine Gruppe von Enthusiasten seit 1988 der Jugendarbeit im Modellbau und Modellflug. Hinter dem etwas sperrigen Namen „Landesmodellbauschule Viechtwang“ steht ein Verein, dessen Mitgliedern es sich zum Ziel gesetzt haben, Kindern und Jugendlichen die faszinierende Welt des Modellbaus näherzubringen.

 

Landesmodellbauschule Viechtwang in Österreich

Alles begann am Ende des Schuljahres 1988 mit dem Unterrichtsprojekt „Segelflugmodell“ an der Hauptschule Scharnstein. Die Präsentation der Modelle war überwältigend und der Wissensdrang der Jugend für den Modellbau war geweckt! Der damalige Projektleiter und Lehrer Martin Wolfsgruber organisierte daraufhin gemeinsam mit dem Österreichischen Aeroclub und dem Österreichischen Verband für Schiffsmodellbau eine Modellbauausstellung in Viechtwang. Die Besucher waren begeistert und bei den Kindern und Eltern war der Wunsch groß, eine Möglichkeit zu schaffen, um diese wertvolle Freizeitbeschäftigung weiterhin zu erhalten.

Dies war die Geburtsstunde der Modellbauschule Viechtwang. Unterstützt vom Österreichischen Aeroclub, dem Stift Kremsmünster, der Pfarrei Viechtwang und vielen freiwilligen Helfern wurden die ehemaligen Schweinestallungen des sogenannten Kaplanstocks zu Werkstatträumen umgebaut. Parallel dazu fanden die ersten Kurse statt. Am damals etablierten Kursprinzip halten wir seither fest und passen es behutsam an aktuelle Gegebenheiten an.

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Flugtraining der Landesmodellbauschule Viechtwang im Spätherbst 2022

 

Der Basiskurs

Unsere Kurse finden während der Schulzeit an jedem zweiten Samstagvormittag statt. Im Basiskurs versuchen wir den Kindern die grundlegenden handwerklichen Fähigkeiten zu vermitteln, die zum selbstständigen Bau eines Modellflugzeuges oder Modellschiffes notwendig sind. Die Jüngsten steigen dabei im Alter von acht bis neun Jahren ein. Von Beginn an legen wir Wert darauf, möglichst viel von Hand zu erledigen. Der Einsatz von elektrischen Hilfsmitteln, wie Dekupiersägen und Schleifmaschinen, ist tabu – die Ständerbohrmaschine ausgenommen. Unsere Teilnehmer stellen zunächst einen eigenen Schleifklotz her. Danach stehen einfache Laubsägearbeiten an und der „Turner“ entsteht – ein einfaches Werkstück, mit dem die wichtigsten Grundfähigkeiten trainiert werden. Nach dem Turner beginnen wir mit dem Bau von zwei bewährten Freiflug-Segelflugmodellen – dem MAZ-Gleiter bzw. Lehrling, gefolgt vom Standard A1. Beide Modelle sind in der Standardbauweise von Erich Jedelsky aufgebaut und nahezu unkaputtbar. Der robuste Aufbau aus profilierten Balsabrettchen ist auch von Ungeübten zu bewältigen. Zudem sind die Modelle einfach zu reparieren und überstehen auch einen Frontalzusammenstoß mit plötzlich auftauchenden Bäumen und anderen Hindernissen problemlos.

Mit dem MAZ-Gleiter lernen die Kinder den Umgang mit Balsaholz. MAZ steht hier für das Modellausbildungszentrum am Spitzerberg in Österreich. Wer bisher nicht mit Balsaholz gearbeitet hat, stellt schnell fest, dass der Umgang mit dem leichten, weichen Material besonderer Sorgfalt bedarf. Neben den verschiedenen Klebstoffen und deren Einsatzgebieten kommt auch das Thema Oberflächenbehandlung nicht zu kurz.

Nach dem MAZ-Gleiter folgt der Standard A1, bei uns kurz „Standard“ genannt. Der Standard ist etwas größer als der MAZ-Gleiter. Und auch die Tragfläche mit Endfahne sowie Rippen sind im Bau komplizierter. Hinzu kommt beim Hochstart die Kreisflugsteuerung nach dem Ausklinken sowie die Thermikbremse. Das Modell stellt die Kinder also schon vor die eine oder andere Herausforderung. Zumal wir hier verstärkt auf das Thema Aerodynamik eingehen.

Mit dem Bau des MAZ-Gleiters und des Standards schließt der Basiskurs und das erste Schuljahr – unsere Teilnehmer haben sich die Grundlagen erarbeitet und sind bereit für mehr…

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Gruppenmitglieder Florian, Moritz und Michael (v.l.) beim Bau ihres Schleudersegler DLG-Bow

 

Der RC-Kurs

Aufbauend auf den Kenntnissen des Basiskurses beginnen die Schülerinnen und Schüler im Folgejahr mit dem Bau ihres erstes RC-Modells. In unserem Fall war das bisher der Airfish – ein Zweiachser mit 2,4 Meter Spannweite und vollständig in Balsaholz aufgebaut. Der Airfish beruht, wie die Modelle aus dem Basiskurs, auf der Jedelsky-Bauweise. Die Teilnehmer können also die bereits erlernten Fähigkeiten anwenden. Parallel dazu beginnen wir bei gutem Wetter auch mit den Flugschulungen. Die Modelle werden dazu per Hochstart oder Seglerschlepp auf Höhe gebracht. Der Airfish ist ein behäbiges Flugzeug und ähnelt im Flugverhalten einem Freiflugmodell. Ein Anfänger wird dadurch nicht überfordert. Allerdings bedarf das Fliegen mit dem Airfish einer gewissen Voraussicht, zum Beispiel bei der Landeeinteilung. Zum Airfish haben wir auch einen einfachen Motoraufsatz entwickelt, mit dem das Modell rasch und selbständig auf Höhe gebracht werden kann. Die Teile für den Motoraufsatz fertigen wir auf der vereinseigenen CNC-Fräse an. Besonders im Winter ist es ein großer Spaß, dass Modell von der Langlaufloipe oder vom harschen Schnee zu starten und in Bodennähe herumzuturnen.

Ein Airfish ist praktisch nicht kaputt zu kriegen, selbst ein komplett zerstörtes Modell lässt sich mit Geduld und Klebstoff wieder in einen flugfähigen Zustand bringen. Leider wird das Modell nach unserem derzeitigen Wissensstand nicht mehr hergestellt – wir sind deshalb auf der Suche nach einem ähnlich robusten Modell. Die sehr gut fliegenden Schaumstoffmodelle diverser Anbieter sind leider keine Option, obwohl exzellent für das Flugtraining geeignet, fehlt uns der handwerkliche Aspekt, auf den wir viel Wert legen.

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Teamwork ist alles: Hier unterstützt Jugendleiter Martin Tobias bei der Platzierung der Wurzelrippe am Airfish

auch in der werkstatt

 

Spezialkurse

Nach dem Bau des Airfish und den ersten Flügen kommt meist der Wunsch nach mehr oder nach etwas komplett anderem. Wir versuchen auch dem nachzukommen. So standen in den letzten Jahren Boote und Nurflügel-Modelle auf dem Programm. Während mit einer Gruppe wurde die Yacht Sturmvogel nach VTH-Bauplan gebaut wurde, entstand mit einer anderen das Speedbox Crackerbox nach einem Bauplan von Rüdiger Götz. Und von Robert Schweissgut haben wir den famosen Zorro light gebaut – ein Modell, dass für den fortgeschrittenen Anfänger aufgrund des durchdachten Aufbaus auf einem ebenen Baubrett gut geeignet ist.

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Bruno und Max beim Studium der Fachzeitschrift FMT

 

Aktueller Stand und Ausblick

Ende September erfolgte der Start ins aktuelle Kursjahr. Zurzeit haben wir 15 Kursteilnehmer. Fünf Anfänger haben mit dem Basiskurs begonnen und starten den Bau des Lehrling, einer Variante des MAZ-Gleiters. Sieben Jugendliche sind dabei, ihren Airfish fertigzustellen und beginnen in Kürze mit dem Bau des Motoraufsatzes. Danach folgt voraussichtlich ein RES-Modell, sofern sich die Jungs nicht für ein anderes Projekt entscheiden. Drei Fortgeschrittene blieben den Nurflüglern treu und bauen nun nach dem Zorro light den DLG Bow von Franz Heindler und David Stockmayr. Im Sommer werden wir wieder eine Ferienaktion im Rahmen des Ferienprogramms „Aktion & Fun“ unserer Gemeinde durchführen. Dabei bauen wir mit den Kindern einen Katapultgleiter nach dem Vorbild der Nighthawk Gliders. Den Abschluss wird unser traditionelles Zeltlager bilden, bei dem das Fliegen im Vordergrund steht.

Unser Kernteam, bestehend aus sechs ehrenamtlichen Kursbetreuern, ist also sehr gut ausgelastet. Da wir jedoch alle selbst Absolventen der Landesmodellbauschule sind, wissen wir um die Freude und Begeisterung, die ein Flugmodell – und sei es nur ein kleiner Wurfgleiter – bereiten kann. Hat man das Modell selbst gebaut, gesägt, geschliffen, das eine oder andere Teil ruiniert, neu gemacht und ist trotzdem beständig drangeblieben, ist das ein ganz besonderer Erfolg für die Kinder und Jugendlichen, der auch uns motiviert.

Mit dem Beginn einer Ausbildung oder dem Studium, ändern sich die Lebensumstände unserer Teilnehmer oft stark. Der Modellbau nimmt dann zumeist einen geringen Stellenwert ein. Trotzdem freut es uns immer sehr, wenn wir nach 10, 15 oder 20 Jahren die Rückmeldung erhalten, wie prägend die Zeit in der Modellbauschule sowohl in persönlicher als auch beruflicher Sicht für die einstigen Kursteilnehmer war.

Ein derartiges Angebot ehrenamtlich über einen so langen Zeitraum konstant zu betreiben, bedarf besonderer Menschen, die zusätzlich neben Arbeit, Studium und Familie bereit sind, ihre wertvollste Ressource – ihre Freizeit – dafür zu opfern. Als Obmann der Landesmodellbauschule möchte ich mich deshalb bei meinen Kollegen, unseren Helferinnen und Helfern und unseren Unterstützern sowie allen engagierten Jugendbetreuern herzlich bedanken!

Mehr Informationen zur Landesmodellbauschule Viechtwang: https://www.lmbs.at

Logo "Early Birds" des FMT-Jugendförderprogramms.

Beitrag von Stefan Hauer
Ausgabe: FMT03/2023

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